Die Planung zum Umbau der Kastanienallee (Prenzlauer Berg)

Veröffentlicht am 14.09.2011 in Stadtentwicklung

Versuch einer Bestandsaufnahme und Skizzierung einer möglichen Lösung
Von Klaus Mindrup

Es hat in der Vergangenheit selten eine Baumaßnahme im Bezirk gegeben, die so die Gemüter der Anwohnerinnen und Anwohner und der Politik erregt hat, wie der Umbau der Kastanienallee. Anfangs gab es in der Oderberger Straße eine ähnliche Situation. Dort hatte das Bezirksamt eine völlig unsensible Planung vorgelegt, die dann von den Bürgerinnen und Bürgern mithilfe der BVV gestoppt und in einem fairen Beteiligungsverfahren verändert wurde. Bei der Kastanienallee ist dieser Schulterschluss zwischen BVV und Kritikern des Ausbaues dagegen nicht gelungen. Dafür gibt es viele Ursachen, wahrscheinlich liegt ein Großteil davon auf der zwischenmenschlichen Ebene.

Hauptbegründung für den Umbau der Kastanienallee seitens des Bezirksamtes ist die Behauptung, der Ausbau diene der Sicherheit des Radverkehrs. Seit dem Schreiben der Verkehrslenkung Berlin an den Bezirk zur Ablehnung von Tempo 30 ist klar, dass dies nicht stimmt. Die Maßnahme, das Radfahren zwischen den Schienen mittels Piktogrammen zu fördern, hat positive Wirkungen gezeigt. Die Zahl der Unfälle ist gesunken, die Geschwindigkeiten in der Straße haben sich reduziert. Natürlich ist die Straße im gegenwärtigen Zustand nicht ohne Gefahrenelemente. Neben der Unfallgefahr durch das „Verfangen in den Schienen“ gibt es ein Risiko für Radfahrer, die sich nicht trauen zwischen den Schienen zu fahren und das Opfer unachtsamer Autofahrer werden, die direkt vor Ihnen die Türen öffnen. Alles in allem hat sich die Sicherheitssituation seit Markierung der Piktogramme deutlich verbessert.

Daher ist offensichtlich, dass der Umbau der Kastanienallee in erster Linie der Beschleunigung des Straßenbahnverkehrs dient, wie dies die BVG auch zugibt. „Auch die BVG begrüßt den Umbau, die Straßenbahnlinien M1 und 12 fahren durch die Kastanienallee. „Wir sehen auf der Strecke akuten Handlungsbedarf“, sagt Sprecherin Petra Reetz. Bislang fahren die Radfahrer zwischen den mit Piktogrammen markierten Tramgleisen. Das sei „kreuzgefährlich“, zudem würden die Straßenbahnen dadurch ausgebremst. Meist könnten die Tramfahrer nur im Schritttempo hinter den Radlern herfahren. „Dadurch verlieren sie allein auf diesem Abschnitt zwei Minuten.“

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung arbeitet derzeit an Plänen, den öffentlichen Personennahverkehr kundenfreundlicher zu machen. Im Rahmen des Projekts wurde die M1 als Pilotlinie ausgewählt. Nach dem Umbau der Kastanienallee soll geprüft werden, ob mehr Tempo auf der Strecke möglich ist. Dafür sind separate Radwege Voraussetzung.“
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/berlin/buehnenreifer-protest-in-der-kastanienallee/4172780.html

Es ist bemerkenswert, dass Herr Kirchner als für den Umbau zuständiger Stadtrat diese Position nicht von Beginn an offen in die Diskussion getragen hat. Stattdessen wurden die Gegner des geplanten Umbaus als Gegner des Radverkehrs und von barrierefreier Mobilität bezeichnet. So wurde eine offene politische Debatte vermieden, bei die Frage im Mittelpunkt hätte stehen müssen: Wie schnell darf die Straßenbahn durch die Kastanienallee fahren? Alles ist in dieser Stadt möglich, man muss sich nur die Straßenbahn auf dem Alexanderplatz ansehen. Natürlich haben reduzierte Geschwindigkeiten auch einen Nachteil: Sie führen dazu, dass die Straßenbahn langsamer ans Ziel kommt. Dies hat Folgen für den gesamten Fahrplan und für die Fahrzeugflotte der BVG, wer schneller fährt, braucht weniger Fahrzeuge und damit auch weniger Geld. Aber über dieses Thema ist in der Kastanienallee nicht diskutiert worden.

Erstaunlich ist, wie Bezirksstadtrat Kirchner und die Verkehrslenkung Berlin hier Hand in Hand agiert haben. Die Bezirksverwaltung kann nicht ein Schild auf der Kastanienallee aufstellen, kann nicht einen Strich auf der Fahrbahn markieren. Dafür ist die Verkehrslenkung Berlin zuständig, eine mächtige Behörde in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Für den Ausbau der Straße, insbesondere die Straßenbreite oder die Parkbuchten, ist dagegen der Bezirk zuständig.

Noch problematischer ist es, den in den Unterlagen für die Bürgerbeteiligung dargestellten Angebotsstreifen zu einem benutzungspflichtigen Radweg zu machen, sobald dies gesetzlich möglich ist. Man sollte meinen, dass dies eine unbedeutende Maßnahme ist. Leider stimmt das nicht.

Ein benutzungspflichtiger Radweg bedeutet „freie Bahn“ für die Straßenbahn und den Kfz-Verkehr ohne störende Radfahrer und damit eine Entmischung des Verkehrs. Letztlich wird damit eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ gebaut, denn Tempo 30 ist in einer derart ausgebauten Straße nicht rechtsicher „anzuordnen“. Jeder Autofahrer könnte dagegen klagen, denn es ist ja offenbar „genug Platz“, um die Verkehre zu trennen und damit die innerörtliche Regelgeschwindigkeit einzuhalten und die ist nun einmal Tempo 50. Um es zugespitzt zu formulieren: Wenn der Bezirk eine breite Straße für Tempo 50 baut, wird er Tempo 50 ernten. Warum sollte die Verkehrslenkung Berlin eine Verkehrsanordnung treffen, die nicht rechtssicher durchzuhalten ist? Erst Recht, wenn genau diese Behörde die Straßenbahn auf Tempo 50 beschleunigen will!

Damit steht die neue BVV vor einer spannenden Frage. Was will die Mehrheit? Stur an dem bisherigen Straßenquerschnitt für Tempo 50 festhalten oder am Beschluss für Tempo 30 festhalten und den Straßenquerschnitt ändern?

Tempo 50 für die Straßenbahn und Autos in einer umgebauten Kastanienallee wäre extrem gefährlich. Der geplante Radstreifen ist extrem schmal und kann im Bereich der Parkbuchten entgegen anderer früherer Aussagen des Bezirksamtes zugeparkt werden, ohne die Straßenbahn zu behindern. Damit wird es immer wieder Situationen geben, wo Radfahrer in den fließenden, jetzt aber deutlich schnelleren, Verkehr ausweichen müssen. Dadurch steigt das Risiko schwerere Unfälle genauso stark exponentiell wie der Bremsweg der Straßenbahn, der sich von 35 m bei Tempo 30 auf 96 m bei Tempo 50 erhöht. Nähere Einzelheiten sind dem Gutachten des Verkehrsexperten Joachim Seiler zu entnehmen-http://stoppt-k21.de/pdf/Gutachten.pdf

Reduzierte Geschwindigkeiten dagegen sind für die Straße gut. Sie erhöhen die Aufenthaltsqualität, weil sie die Lärmbelastung durch den fließenden Verkehr senken. Sie fördern die Verkehrssicherheit, weil die Gefahr schwerer Unfälle dramatisch zurückgeht. Reduzierte Geschwindigkeiten sind auch für den Radverkehr gut, er kann im allgemeinen Verkehr „mitschwimmen“. Daher ist es auch logisch, dass in Tempo 30 – Zonen Radwege schlicht grundsätzlich verboten sind. Eine Logik, die Teile des Berliner Allgemeinden Deutschen Fahrradclubs offenbar bei der Kastanienallee vergessen haben.

Nach der Neuwahl der BVV und des Bezirksamtes sollte eine sachliche Debatte zur Baumaßnahme Kastanienallee möglich sein, mit dem Ziel wie in der Oderberger Straße einen breiten Konsens für eine sinnvolle und breit getragene planerische Lösung zu finden.

Basis dieses Konsenses sollte eine sinnvolle Analyse sein. Dabei kann man meines Erachtens von folgenden Thesen ausgehen:

1. Tempo 50 der Straßenbahn ist in der belebten Geschäftsstraße
Kastanienallee zu schnell und zu gefährlich.

2. Tempo 30 ist eine angemessene Geschwindigkeit für die Straßenbahn und gegenüber dem Ist-Zustand bereits eine erhebliche Beschleunigung.

3. Tempo 30 lässt sich nur rechtssicher anordnen, wenn der Bezirk auch einen Straßenquerschnitt für Tempo 30 baut. Tempo 30 und der bisher vom Bezirk geplante Straßenquerschnitt sind rechtlich zusammen nicht durchsetzbar bzw. wären ggf. erst nach schweren Unfällen durchsetzbar – eine absurde Situation.

4. Planerisches Ziel sollte daher ein „verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“ oder eine „Fahrradstraße“ - jeweils mit Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit sein, denn eines ist die Kastanienallee ganz gewiss nicht, eine Hauptverkehrsstraße.

5. Neben der heutigen Lösung des Fahrens zwischen den Schienen sollte für langsame Radfahrerinnen und Radfahrer ein zweites sicheres Angebot geschaffen werden. Sie sollten die Möglichkeit haben, rechts neben den Gleisen zu fahren, ohne durch öffnende Autotüren gefährdet zu werden. Das bedeutet, dass die Parkplätze etwas in den Gehwegbereich gerückt werden müssen, aber nicht so weit wie in der augenblicklichen Planung. Die Maße des Höhmann-Planes bieten hier einen sinnvollen Anhaltspunkt. Hier gilt es genau hinzusehen, denn jeder cm optische Verbreiterung der Straße ist ein Anreiz zur Geschwindigkeitserhöhung. Ich würde daher zu einer weiteren Verengung raten.

6. Durch Linien markierte Wege für den Radverkehr kann es bei dieser Lösung nicht geben, da sie nicht zu Tempo 30 „passen“. Markiert werden sollten aber die Sicherheitsabstände zu den parkenden Autos.

7. Da der Bezirk für die Planung des Straßenquerschnittes zuständig ist, sollte er die Straße so eng wie möglich planen. Dann kann und wird die Verkehrslenkung Berlin auch Tempo 30 anordnen.

8. Die Sanierung der Gehwege und der barrierefreie Zugang zu den Straßenbahnen werden durch diese Konzeption nicht beeinträchtigt.

Es geht um den Charakter einer Straße und um die Gefährdung von Menschenleben. Da lohnt es sich inne zu halten und nachzudenken, auch wenn die Bagger auf einem Abschnitt bereits rollen, vor allem, insbesondere weil viele Fakten zum Umbau der Kastanienallee erst in den vergangenen Wochen und Monaten bekannt geworden sind.

Die BVV hat in den letzten Jahren immer dann Erfolg gehabt, wenn sie eindeutige Beschlüsse gefasst hat und sich dann oft auch gegen die Senatsbürokratie durchgesetzt, hier nur einige Beispiele:

• Vergabeentscheidung Gewerbehof Saarbrücker Straße
• Mieterschutz in der Carl-Legien-Siedlung und später auch in der „Grünen Stadt“ durch umfassende Sozialplanung
• Bau neuer Schulen im Bezirk
• Sicherung der Erweiterung des Hirschhofes
• Erhalt der freien Projekte in der Jugendarbeit und der vorbildlichen Kulturförderung, obwohl der Bezirk in 2009 vom Senat unter „vorläufige Haushaltswirtschaft“ gestellt wurde
• Im ersten Schritt Sicherung der ehemaligen Friedhofsfläche in der Heinrich-Roller-Straße vor Bebauung, im zweiten Schritt Bau eines Spielplatzes

Gerade das letzte Beispiel zeigt, dass man auch erfolgreich gegen Senatsbürokratien sein kann, wenn man entschieden vorgeht und gut argumentiert. Anfänglich wollte eine Abteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Friedhofsfläche an der Heinrich-Roller-Straße in einer Art „Tauschhandel“ Bauland gegen weniger Geld für den Friedhofserhalt an die Kirche „umtauschen“. Als dann aber die BVV sich fast einstimmig für den Erhalt der Grünfläche ausgesprochen hat, wurden diese Planungen gestoppt und schließlich die Friedhofsfläche sogar durch den Senat gekauft. Heute wird dort die Parkanlage gestaltet – mit breiter Zustimmung der Anlieger.

Meine begründete Hoffnung ist, dass die Mitglieder der nächsten BVV die Kraft finden, aus den alten Beschlüssen für Tempo 30 für die Kastanienallee die richtigen Konsequenzen zu ziehen und die Baupläne ändern zu lassen.

Klaus Mindrup

Klaus Mindrup ist seit 1999 Bezirksverordneter der SPD, dort Mitglied der Ausschüsse für Finanzen sowie Stadtentwicklung und Vorsitzender der SPD Kollwitzplatz – Winskiez – Kastanienallee

Er kandidiert am 18.09.2011 wieder für die Bezirksverordnetenversammlung auf der Liste der SPD.

Zur Kastanienallee hat er zahlreiche Anfragen an das Bezirksamt gestellt und die folgenden Antworten erhalten:

http://www.berlin.de/ba-pankow/bvv-online/___tmp/tmp/4­5081036178691613/178691613/00043937/37-Anlagen/03/9.pdf

http://www.berlin.de/ba-pankow/bvv-online/___tmp/tmp/4­5081036178691613/178691613/00044525/25-Anlagen/02/47.pdf

http://www.berlin.de/ba-pankow/bvv-online/___tmp/tmp/4­5081036178691613/178691613/00044526/26-Anlagen/02/50.pdf

 
 

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