"Fraktion vor Ort"-Termin zu TTIP und CETA

Veröffentlicht am 17.03.2015 in Wirtschaft

Am 24. Februar luden die zwei SPD-Bundestagsabgeordneten für Pankow, Cansel Kiziltepe und Klaus Mindrup, zu einem „Fraktion vor Ort“-Termin in das ehemalige jüdische Waisenhaus in Pankow. Mehr als 90 Mitglieder und Gäste aus Pankow und anderen Stadtteilen nutzten die Möglichkeit, über die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA zu diskutieren – über die damit verbundenen Chancen, aber vor allem über die vielen damit verbundenen Risiken.

Überschaubare Chancen, hohe Risiken

Nach einer kurzen Begrüßung durch Cansel Kiziltepe begann der Abend mit einem Impulsvortrag von Dr. Dierk Hirschel, Chefökonom bei ver.di. Die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA zwischen der EU und den USA bzw. Kanada werden von den Befürwortern als „große Konjunkturpakete“ für den transatlantischen Handel und die europäische und deutsche Wirtschaft angepriesen. Tatsächlich gibt es aber mehrere Studien, die diesem Argument widersprechen. Sogar die wohl eher optimistische Studie im Auftrag der EU-Kommission prognostiziert den Effekt des Abkommens auf sehr niedrige 0,034 Prozent, um die die europäische Wirtschaft pro Jahr und bis 2027 stärker wachsen dürfte. 

Angesichts der mageren Prognosen argumentieren TTIP-Befürworter in letzter Zeit immer weniger mit den Effekten für das Wirtschaftswachstum. Immer häufiger fällt stattdessen das Argument, dass die EU gemeinsam mit den USA Standards festlegen muss, um diesen Part nicht China zu überlassen und dadurch große Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen. Mit dieser neuen Argumentation versuchen die Befürworter der beiden Abkommen, auf die kritische öffentliche Stimmung zu reagieren, so Dierk Hirschl und Cansel Kiziltepe: Dass die EU ohne Abkommen mit den USA und Kanada ins Hintertreffen gerät bezeichneten beide Gastgeber als reine „Drohkulisse“. Profitieren dürften von TTIP und CETA vor allem die großen transnationalen Konzerne (TNCs), die seit den 1990er Jahren auf diese Abkommen hinwirken, so Dierk Hirschl, der Effekt für kleine und mittlere Unternehmen dürfte hingegen sehr überschaubar sein.

Den eher mageren Chancen stellte Dierk Hirschel die zahlreichen Risiken und Gefahren gegenüber, die mit den zwei Abkommen in ihrer derzeit ausgehandelten Form einhergehen dürften. Große Bedenken in Bezug auf eine Liberalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge konnte das Bundeswirtschaftsministerium bisher nicht glaubhaft ausräumen, so Dierk Hirschel. Anders als in vorhergehenden Abkommen sollen bei TTIP und CETA auf sogenannten Negativlisten nur noch die (wenigen) Bereiche aufgeführt sein, die von den Abkommen nicht betroffen sind – bei bisherigen Abkommen wurden auf Positivlisten die Bereiche genannt, auf die sich die Abkommen jeweils bezogen. Und auch eine drohende Annäherung an die in den USA völlig unzureichenden Arbeitnehmerrechte und die Gefährdung des in Europa geltenden Vorsorgeprinzips etwa beim Umwelt- und Verbraucherschutz sprechen gegen die Abkommen. Die mit den Abkommen beabsichtigte Angleichung von Standards dürfte, anders als von den Befürwortern behauptet, im Sozial- und Umweltbereich keinesfalls auf dem jeweils höheren Niveau erfolgen – dafür sind die Verhandlungen schon zu lange und zu sehr Projekt derjenigen Konzerne, die von niedrigeren Standards profitieren würden. Eine weitere große Gefahr für eine gerechte und gestaltungsfähige Politik geht von dem Plan aus, Rechtsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verhandeln (ISDS). Dieses Instrument, so Dierk Hirschel, käme einem Verzicht auf das „Primat der Politik“ gegenüber der Wirtschaft, auf „ein Fundament der Demokratie“ gleich. 

Bedingungen von DGB und SPD-Parteikonvent

Die deutschen Gewerkschaften haben vor dem Hintergrund dieser und vieler weiterer schwerwiegender Bedenken zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium ein Papier veröffentlicht, in dem nicht verhandelbare rote Linien gezogen werden. Der SPD-Parteikonvent hat im September 2014 ein Papier verabschiedet, das diese roten Linien weitgehend aufgreift. Ohne eine Berücksichtigung dieser roten Linien, das heißt ohne entscheidende Korrekturen der bisher verhandelten Formen der Abkommen, sind TTIP und CETA aus Sicht der Gewerkschaften und des Parteikonventes nicht zustimmungsfähig. Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel, eigentlich Mitverfasser und –Initiator beider Papiere, signalisiert seit Herbst 2014 immer deutlicher, dass diese roten Linien in den Verhandlungen nun doch keine Berücksichtigung finden können und sollen.

Schlechte Erfahrungen in Kanada

Anschließend berichtete Klaus Mindrup über seine Delegationsreise als Mitglied im Ausschuss für Umwelt und Naturschutz und Gesprächen mit Initiativen und Organisationen, die in den USA und in Kanada gegen TTIP und CETA protestieren. Auch hierbei lag ein Schwerpunkt der Kritik auf dem Investorenschutz-Instrument ISDS. Dieser Investorenschutz ermöglicht Unternehmen, vor privaten Schiedsgerichten gegen neue Gesetze zu klagen, die den Ertrag ihrer Investitionen schmälern könnten. Der Tabakkonzern Philip Morris verklagte beispielsweise Uruguay erfolgreich auf 2 Mrd. US-Dollar wegen strengeren Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen. 

Im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA kam es auch in den USA und Kanada bereits mehrfach zu ISDS-Klagen. Kanada verlor beispielsweise ein Verfahren gegen die Ethyl Corporation, den Hersteller eines Schmerzmittels, das in Kanada nicht zugelassen war. Der kanadische Staat musste das Schmerzmittel zulassen und 130 Mio. Kanadische Dollar Strafe zahlen. Andere ISDS-Verfahren im Rahmen von NAFTA gingen zwar auch zugunsten der angeklagten Staaten aus, vor allem in den USA. Dennoch kritisierten auch die TTIP-Gegner in den USA das Instrument. Unabhängig vom Ausgang der Verfahren verdienen in jedem Fall einige spezialisierte Anwaltskanzleien, die in den letzten Jahren eine regelrechte „Prozessindustrie“ aufgebaut haben. Im schlimmsten Fall führen ISDS-Bestimmungen zu dem sogenannten Chilling Effekt, dazu, dass Staaten bestimmte Gesetze nicht mehr beschließen, um hohe Verfahrenskosten und drohende Strafen zu vermeiden.

Das Papier der sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs in der EU, das eine abgeschwächte ISDS-Variante in die Diskussion einbringt, ist ein Anfang, geht aber nicht weit genug, so Klaus Mindrup: auch „in Watte gepackte“ ISDS-Verfahren sind nicht zustimmungsfähig. Anders als von Befürwortern behauptet, werden TTIP und CETA nicht nur in Deutschland sehr skeptisch gesehen. Auch in anderen Ländern gibt es massive Kritik an den Abkommen, die teilweise bereits in Parlamentsbeschlüssen Ausdruck findet, etwa in Österreich. Auch das Europaparlament hat beschlossen, dass den momentan für CETA ausgehandelten Investorenschutz-Bestimmungen nicht zugestimmt werden kann.

US-Unternehmen mit Tochterfirmen in Kanada könnten durch CETA europäische Staaten verklagen, noch bevor TTIP verabschiedet wird. Das europäisch-kanadische Abkommen CETA dürften deutlich vor TTIP zur Abstimmung stehen, schätzungsweise Ende 2015 oder Anfang 2016. Noch ist unklar, wie über CETA und TTIP entschieden werden soll. Möglicherweise werden auch der Bundestag und der Bundesrat für Deutschland darüber entscheiden, ob CETA und TTIP in Kraft treten. 

„Größtes Misstrauen“

Die vielen fast ausschließlich Abkommen-kritischen Nachfragen und Wortmeldungen in der anschließenden Diskussion bestätigten Dierk Hirschls Eindrücke von vielen ähnlichen SPD-Veranstaltungen: Eine große Mehrheit der Parteibasis sieht TTIP und CETA überaus kritisch. Mehrere Gäste äußerten noch deutlicher als die Greenpeace-Aktivisten vor dem Veranstaltungsort ihr sehr großes Misstrauen gegenüber den TTIP- und CETA-Verhandlern. Nachfragen und Diskussionsbeiträge gab es unter anderen zu der faktischen Unkündbarkeit der Abkommen, zu der Verabschiedung durch die EU-Staaten, zu dem ebenfalls geplanten TISA-Abkommen über Dienst-leistungsliberalisierungen sowie zu den drohenden Folgen für den Kulturbereich. Zumindest unter den Gästen an diesem Abend gab es ein großes Interesse an einer SPD-Urabstimmung oder -Mitgliederbefragung vor der Verabschiedung der beiden Abkommen. 

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Schon bei der Abteilungssitzung am 14. Oktober 2014 haben wir uns sehr ausführlich mit TTIP und CETA beschäftigt. Den Bericht dazu gibt es hier.

 
 

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