Die Situation der Flüchtlinge in Pankow

Veröffentlicht am 08.02.2015 in Soziales

Das Flüchtlingsheim in der Straßburger Straße in Prenzlauer Berg

Thema der ersten Abteilungsversammlung im neuen Jahr am 13.1. war die Situation der Flüchtlinge in Berlin und Pankow. Rainer-Michael Lehmann (Mitglied des Abgeordnetenhauses),  Thomas Müller* (Arbeitskreis Rechtsextremismus der SPD Pankow) sowie Ines Stürmer und Henry Koch (Initative zur Unterstützung des Flüchtlingsheimes Straßburger Straße) führten mit viel Expertenwissen und Praxiserfahrung durch die Diskussion dieses schwierigen und hochaktuellen Themas.

Rainer-Michael Lehmann befasst sich als integrationspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und als Bucher Abgeordneter sehr regelmäßig und intensiv mit der Situation der Flüchtlinge in Berlin und Pankow, mit den Diskussionen über die Unterbringung und mit dem politischen Rahmen, in dem die Bezirke auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagieren. In Berlin leben derzeit rund 14.062 Personen in 57 Einrichtungen (Stand: 06.01.2015). Nach dem sogenannten Königsberger Schlüssel (nach Einwohnerzahl und Steueraufkommen) nimmt Berlin etwa fünf Prozent der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge auf. Die Zahl der Flüchtlinge in Berlin ist von 3.500 in 2012 kontinuierlich gewachsen, auf 6.000 in 2013 und auf 12.227 in 2014 (Aufnahme, Stand: 31.12.2014). In Pankow leben aktuell rund 800 Flüchtlinge in vier Unterkünften. Ab März 2015 werden ca. 480-500 weitere Plätze in einer fünften Einrichtung in Buch geschaffen. Jeweils etwa 40 Prozent der Flüchtlinge kommen aus Syrien und aus dem Westbalkan.

Die stark zunehmenden Flüchtlingszahlen, die Land und Bezirke vor Probleme stellen, seien absehbar gewesen, so Rainer-Michael Lehmann, der Senat habe aber die entsprechenden Maßnahmen zu spät ergriffen. Eine dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge ist angesichts dieser Entwicklung aktuell keine realistische Lösung. Von diesem Anspruch mussten Land und Bezirke immer weiter abrücken, über die Unterbringung in Flüchtlingsheimen über Containerdörfer hin zu Traglufthallen, Hostels und zweckentfremdeten Turnhallen. Vor allem Container, Hallen und Hostels sind zu teure und keineswegs dauerhafte Lösungen, so Lehmann. Kritik äußerte Rainer-Michael Lehmann an den Unterbringungslösungen des Senates, die zu wenig in Abstimmung mit den Bezirken erfolgten: Die Containerdörfer seien komplett an den Bezirken und den Abgeordneten aus den betroffenen Stadtteilen vorbei geplant, der Standort in Buch wurde angesichts der Lage vor Ort „völlig unsensibel“ festgelegt. Und auch die geplante Beschlagnahmung und Umnutzung von je zwei öffentlichen Turnhallen pro Bezirk bezeichnet Lehmann als „grundlegend falsches Signal“ an die Bevölkerungen in den Bezirken. Pläne für Flüchtlingsunterbringungen müssten von Anfang an transparent kommuniziert und erklärt werden, um Unzufriedenheit in der örtlichen Bevölkerung und das Trittbrettfahren von Nazis nicht vorzuprogrammieren. Ein gelungenes Beispiel dafür ist das Flüchtlingsheim in der Mühlenstraße im Ortsteil Pankow, so Rainer-Michael Lehmann.

Ab 2016 ist geplant, Flüchtlinge in landeseigenen, auch neu gebauten Wohnungen unterzubringen. Auch diese Lösung wäre mit hohen Kosten verbunden, entspräche aber angesichts der aktuellen sehr unzureichenden und alles andere als kostspieligen Lösungen einer weitsichtigeren Politik. Die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge stellen die Länder und Kommunen vor große Probleme. Die Mittel im Landeshaushalt müssten für eine angemessene Unterbringung und Versorgung massiv aufgestockt werden, so Rainer-Michael Lehmann. Die Tatsache, dass Deutschland einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet und die Länder gleichzeitig mit den Kosten für eine angemessene Flüchtlingspolitik allein gelassen werden, ist nicht akzeptabel: An diesem Punkt brauche es einen Philosophiewechsel, so der Bundestagsabgeordnete und Abteilungsvorsitzende Klaus Mindrup.

Thomas Müller berichtete über die Arbeit des Arbeitskreises Rechtsextremismus der Pankower SPD (AK Rex). Nach den Übergriffen von Nazis auf Wahlkämpfer von SPD und anderen Parteien im Sommer 2014 in Buch wurde der Arbeitskreis reaktiviert und habe sofort in Form von Infoständen Präsenz im Ortsteil Buch gezeigt. Unverständnis in der Bevölkerung für die Berliner und Pankower Flüchtlingspolitik und die Unterbringung in bestimmten Einrichtungen sei immer wieder von Nazis aufgegriffen und instrumentalisiert worden, so Thomas Müller: NPD-Mitglieder übernehmen binnen kurzer Zeit die Organisation von Demonstrationen, um einen Widerstand in der Bevölkerung zu mobilisieren und zu inszenieren und um eine öffentliche Stimmung gegen Flüchtlinge aufzubauen. Um dieser Strategie entgegenzuwirken hat der AK Rex in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße gesucht und über die Flüchtlingspolitik berichtet. Die guten Erfahrungen des AK Rex und anderer an dieser Gegenstrategie beteiligten Parteien, Organisationen und Initiativen im Gespräch mit den Menschen vor Ort bestätigen die Einschätzung von Rainer-Michael Lehmann, dass eine transparente Vermittlung der Flüchtlingspolitik ein sehr großer Schritt in die richtige  die richtige Richtung ist: Die für Pankow überraschende Bekanntmachung der Containerdörfer-Lösung habe auch die Arbeit an den Infoständen extrem erschwert.  Der AK Rex hat in sechs Monaten 16 Infostände in Pankow durchgeführt, im November und Dezember und bei mitunter „klirrender Kälte“ im Wochenrhythmus. Thomas Müller lobte den überaus hilfreichen Austausch und die Zusammenarbeit mit vielen Organisationen und Initiativen, die sich neben dem AK Rex gegen Rechtsextremismus in Pankow wehren. Der lange Atem und das Zusammenarbeiten bei dieser Vorgehensweise scheinen sich vorerst bezahlt zu machen. Und eine durch den AK Rex organisierte und sehr erfolgreiche Spendenaktion im Dezember habe gezeigt, wie viele Menschen die Flüchtlinge willkommen heißen und unterstützen möchten. Trotzdem, so Thomas Müller, müsse man damit rechnen, dass die Nazis in den kommenden Monaten wieder versuchen werden, Proteste gegen Flüchtlinge loszutreten. Die Arbeit aller an dieser Gegenstrategie beteiligten Gruppen und Personen wird mit vollem Einsatz fortgesetzt werden müssen.

Ines Stürmer und Henry Koch vom Unterstützer_innenkreis Straßburger Straße berichteten von ihrer ehrenamtlichen Arbeit und von den vielen Schwierigkeiten und Hürden, vor denen die Flüchtlinge und auch ihre zivilgesellschaftlichen Unterstützer immer wieder stehen. Der im Sommer 2014 gegründete Unterstützer_innenkreis unterstützt mit etwa 120 engagierten Bürgerinnen und Bürgern die 230 in der Straßburger Straße im Prenzlauer Berg untergebrachten Flüchtlinge, darunter 70 Kinder. Die Initiative sammelt Sachspenden und organisiert wichtige Informations- und Unterstützungsangebote, etwa Hausaufgabenhilfe, Kleiderkammer, Kinderbetreuung und einen Kiez-Atlas. Viele staatlich bereitgestellte Versorgungsangebote an die Flüchtlinge seien zu kompliziert und in der Praxis nur schwer in Anspruch zu nehmen. Die Flüchtlinge stünden sehr schnell vor unnötigen bürokratischen Hürden, die mit wenigen Sprach- und Ortskenntnissen kaum zu meistern sind, etwa bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Kita-Platz. Der Unterstützer_innenkreis versucht, an diesen Stellen zu helfen. Ines Stürmer und Henry Koch fordern mehr unbürokratische, realitätsnahe Versorgungsangebote, die auch dann umsetzbar sind, wenn kein Unterstützer_innenkreis helfen kann. Sie kritisierten ebenfalls die mangelhafte medizinische Versorgung der Flüchtlinge. In der Straßburger Straße sei die zahnärztliche Versorgung etwa nur durch den Zufall gewährleistet, dass sich auch ein Zahnarzt im Unterstützer_innenkreis engagiert. Die überwiegend syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge seien häufig traumatisiert und bräuchten eine viel bessere psychologische Betreuung.

Ein besonders akuter Mangel besteht bei der Rechtsberatung. Die einzige kostenlose Rechtsberatung in Pankow durch den OASE Berlin e.V. wird seit Anfang Januar nicht mehr finanziert. Die Rechtsberatung wird seitdem durch den Unterstützer_Innenkreis organisiert und spendenfinanziert. Die Initiative ist auf Spenden angewiesen, um dieses Angebot aufrechterhalten zu können.  Die Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH hat dafür ein Spendenkonto eingerichtet (siehe unten). Die Abteilung 15 wird sich dafür einsetzen, dass die Finanzierung der Rechtsberatung durch den OASE Berlin e.V. wieder aufgenommen wird.

Die Beiträge der Gäste, die Nachfragen und die Diskussionen haben gezeigt, dass das Thema Flüchtlinge in Deutschland, Berlin und Pankow zahlreiche offene Punkte hat: von der Unterstützung der Länder und Kommunen durch den Bund und der Zusammenarbeit von Land und Bezirken bei der Unterbringung und Versorgung, über eine rechtzeitige und offene Kommunikation der Politik und einen guten Dialog mit allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern, hin zu der Ausgestaltung von ganz konkreten Unterstützungsangeboten.

 

* Name geändert

 

Spendenkonto:
Empfänger: Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH
Konto 30 61 411

BLZ 100 205 00
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN DE36100205000003061411

BIC BFSWDE33BER
Verwendungszweck: Spenden Strassburger ggf. mit Zusatz für etwas Bestimmtes

Für eine Spendenquittung, bitte Name und Adresse dazu schreiben.

 
 

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